Du hast es versucht. Seit gefühlten 20 Jahren versuchst du zu verstehen, wieso jemand dieses Pseudo-Betriebssystem mit seiner Klicki-Bunti-Oberfläche und neuerdings diesem Kacheldreck verwenden kann. Diese Ansammlung von proprietärem (mit NSA-Backdoor versehenem) Code. Nichtmal einen Paketmanager hat Windows, stattdessen diese EXE-Dateien, die auf dich wirken, als wären sie aus der IT-Steinzeit. Und das schlimmste: Die Pseudo-Kommandokonsole namens Powershell kennt nicht mal SUDO-Befehle. Wer nutzt sowas ernsthaft außer Kindern, Rentnern und Sekretärinnen? Die Welt soll gefälligst auf Linux umsteigen, besser gestern als heute.
Du bist DER Experte
Du selbst bist eingefleischter ITler, schon dein ganzes Leben lang. Du hast mehrere Accounts in dem IT-Forum schlechthin. Einem elitären Club Gleichgesinnter, die mit ihren Kommentaren über die Zukunft ganzer Konzerne entscheiden. Als Google einst die Suchmaschine erfand, hatte man hier die Idee dazu schon 5 Jahre vorher. Hier triffst du Gleichgesinnte. Linux-Nutzer seit dem letzten Jahrtausend. Leute, die noch selbst Kernel kompilieren und die Kommandokonsole als die höchste Form des User-Interface definieren. Mit deinen Kumpels aus dem Forum ziehst du jeden Tag in die virtuelle Schlacht: gegen Apple-Fanboys, gegen Windows-Jünger, gegen die Deppen aus dem anderen Linux-Lager, die meinen Ubuntu wäre ein gutes Linux.
Dein ultimativer Kick – Windows in der VM
Eigentlich nutzt du Linux. Du hast Jahre gebraucht, um die Befehle für die Konsole zu lernen, dich durch unzählige Manpages gewühlt und gelernt, für welche Alltagsprobleme es welchen Workaround braucht. Doch es braucht Munition für’s Forum. Also gibst du dir immer mal wieder den absoluten Kick: Absteigen in die Hölle der IT: Windows installieren – in der VM. Und dann: Oh heiliger TUX! Es startet! Mist! Und wirkt auch noch stabiler und schneller als in der alten Version. Eigentlich kaum ein Unterschied zu Linux. Nur wieso geht der Drucker auf Anhieb? Verschwörung! Aber hier: Vollbild-Startmenü und Kacheln – was soll das? Fehlt ja nur noch der Hello-Kitty-Bildschirmhintergrund. Was soll der Kindergarten-Scheiß? Wo ist das alte Grau von Windows 2000 – mit dem konnte man doch so „produktiv arbeiten.“ Aber damit? Nee, das geht gar nicht. Es gibt nicht mal sowas wie KDE, das du installieren könntest.
Mit neuer Munition gegen Windows geht’s zurück ins Forum. Gerade kam ein neuer Artikel über Windows 10. Perfekt. Du beginnst deinen sachlichen Beitrag. Überschrift: „Weg mit dem Kacheldreck.“ Inhaltlich schreibst du, dass man mit Kacheln nicht „produktiv arbeiten“ könne. Damit niemand merkt, dass du Windows eigentlich nie nutzt, sagst du, dass Windows 7 doch so viel besser war, die Spitze des GUI-Designs, das beste Windows überhaupt. So wie damals Windows XP das beste Windows war und Windows 7 nur ein überteuertes Service Pack mit dicken, transparenten Fensterrahmen und übertriebenem Schlagschatten, die einem vom „produktiven Arbeiten“ abhalten. Dass du einst die Tele-Tubbie-Optik von Windows XP kritisiert hast und Windows 2000 das beste Windows war, daran erinnert sich ja zum Glück keiner mehr.
Dein Beitrag ist fertig. Du schickst ihn ab und prompt, wirst du für gehaltloses „Getrolle“ kritisiert. Den Windows-Fanboys hab ich’s gezeigt, denkst du dir und legst nach. Account wird gewechselt, neuer Beitrag erstellt. Überschrift: „Immer noch Kacheln, immer noch potthässlich, immer noch kein W7-Modus“. Am Ende kommen wieder die gleichen Windows-Jünger, die deinen Beitrag zerpflücken. Du freust dich. Wieder eine Schlacht ausgetragen. Noch ein Jahr, dann kommt eh das Jahr des Linux-Desktops.
Die IT-Welt hat sich geändert, dein Feindbild bleibt
So geht das jetzt seit Jahren. Die IT-Welt hat sich aber verändert. Heute läuft Windows auf einem Macbook performanter als OS X, Microsoft hört auf Nutzer-Feedback und veröffentlicht auch noch .NET unter OS-Lizenz. Der Balmer ist auch nicht mehr da, über den du dich so schön lustig machen konntest. Es ist als würde die Hölle zufrieren. Linux hat zwar die Smartphones erobert, aber nur in Form des bis zur Unkenntlichkeit verkrüppelten Android. Ein Betriebssystem bei dem sich nicht mal die YouTube-App so einfach löschen lässt. So hast du dir das nicht vorgestellt. Die Welt hat die Vorteile von Linux nicht begriffen, nicht an der Auswahl aus über 700 Linux-Derivaten erfreut, sich nicht an SUDO-Befehle gewöhnt. Das einzige was geblieben ist, ist dein Feindbild.